Kennt ihr den Satz auch: “Das müssen sie lernen” oder natürlich auch “Das muss er oder sie lernen.”?
Ich höre den Satz gerne von Eltern oder Großeltern, die sich gerade schlecht fühlen bei dem, was
sie mit ihrem Kind gerade tun oder dafür kritisiert wurden, und das als Rechtfertigung nehmen.
Alleine einschlafen: Das müssen sie lernen, also lass ich sie schreien.
Warten bis die Erwachsene ausgeredet haben: Das müssen sie lernen, also ignoriere ich sie bis ich fertig bin.
Ruhig sitzen bis alle aufgegessen haben: Das müssen sie lernen, also kriegen sie keinen Nachtisch, wenn sie früher aufstehen.
Und so weiter, und so fort.
Füge hier ruhig deine persönlichen Erfahrungen ein.
Da ich gerne anderen Menschen gefalle, nicke ich meist darauf und sage: “Du möchtest, dass sie
das lernen, oder?”
Was ich viel lieber darauf sagen möchte, ist: “Ich glaube, sie lernen gerade etwas ganz anderes.” oder “Nur wie sollen sie das lernen?”.
Zur ersten Reaktion:
Ich glaube, sie lernen gerade etwas ganz anderes.
Was genau lernen sie, wenn ich sie schreien lasse, sie ignoriere, sie bestrafe:
Das kommt aufs Kind drauf an, aber die meisten lernen, dass sie allein sind, nicht geliebt oder nur bei gutem Verhalten geliebt werden, sie nicht gesehen und gehört werden, sie sich nicht zeigen können, wie sie sind, etc.
Wollen wir das? Nein.
Wir wollen, dass unser Alltag leichter geht, wenn die Kinder alleine schlafen, sitzen bleiben, ruhig sind, tun, was wir sagen. Wir wollen, dass unsere Kinder soziale Fähigkeiten erlernen, um in einer Gesellschaft anerkannt zu werden und Gemeinschaft zu erfahren. Dazu müssen sie manchmal still sitzen bleiben oder abwarten können. Wir wollen keine ignoranten oder zu ich-bezogene Kinder, daher denken wir manchmal, sie müssen lernen, dass sich nicht alles nur um sie dreht.
Das führt mich zu meiner zweiten Reaktion:
Wie sollen sie das lernen?
Denn auch wenn das häufig unser erster Gedanke oder der erste Gedanke von vielen Menschen ist, Bestrafung oder Ignorieren ist nicht der einzige (wenn überhaupt ein) Weg, der zum Lernen oder Veränderung des Verhaltens führt. Die meisten Eltern in Deutschland haben selbst diese Mittel erfahren und kennen sie gut.
Aber was wäre, wenn es auch noch anders ginge? Was, wenn es eine Möglichkeit gäbe, Kindern soziale Fähigkeiten mit auf den Weg zu geben, ohne sie zu bestrafen? Dann würden sie vielleicht wirklich soziale Kompetenz lernen ohne zu lernen, dass sie falsch sind oder nicht geliebt oder allein.
Für mich ist das erstrebenswert.
Nur wie gehe ich dann vor? Ich wende die gewaltfreie Kommunikation an.
- Ich gebe dem Kind Empathie.
Ich gehe auf seine Gefühle und Bedürfnisse ein und weiß zu jedem Zeitpunkt, dass er nur für sich und niemals gegen mich oder andere agiert. - Ich erkläre dem Kind meine Gefühle und Bedürfnisse.
- Ich frage ihn nach einer Strategie, bei der unser beider Bedürfnisse erfüllt werden. Wenn es keine
Idee hat, biete ich eine Idee an.
Und was ist die Wirkung?
Die Wirkung ist, dass sie an der vorgelebten Empathie Empathie lernen. Dass sie lernen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu sagen, aber die Strategie ändern können.
Ja, das geht langsam, aber immer wieder sehe ich diese Zaubermomente.
Meine Tochter (4) hat sich zum Beispiel letztens mit meinem Sohn (3) gestritten. Dann sagt sie:
“Ok, du willst Bagger spielen, oder? (Selbstbestimmung) Und ich will was mit dir spielen. (Verbindung) Wie wärs, wenn du mit deinem Bagger zu meinem Playmobilhaus kommst und wir was umbauen?”
Mir ging einfach nur das Herz auf.